Hier finden Sie eine Zusammenfassung zum aktuellen Wissenstand zur Therapie der überaktiven Blase:
Die überaktive Harnblase (im Sprachgebrauch sind auch die Begriffe Reizblase, nervöse Blase oder „Konfirmandenbläschen“) wurde im Jahr 2003 von der ICS (International Continence Society, Internationale Kontinenzgesellschaft) mit den im ersten Absatz ausführlich geschilderten Symptomen definiert. Durch die quälende Drangblase wird die Lebensqualität erheblich eingeschränkt und oftmals bestimmt sie den gesamten Tagesablauf. Unter diesen Beschwerden können bereits junge Menschen leiden, allerdings nimmt der prozentuale Anteil in der Bevölkerung mit zunehmenden Alter zu. Bei den über 40- jährigen Frauen und Männern liegt er in etwa bei 16,6 %. Wichtig ist auch, dass nicht alle Symptome gemeinsam vorhanden sein müssen. Es gibt auch Menschen, die ausschließlich von einem übermächtigen Drang betroffen sind, der zum Teil ununterbrochen auftritt, die sogenannte Urgency (Urge ist das englische Wort für Drang). Deshalb ist es sehr wichtig, eine gute ärztliche Befunderhebung durchzuführen und die Ursache bei jedem einzelnen Ratsuchenden individuell zu bestimmen.
Ursachen für eine Drangsymptomatik können häufig Harnwegsinfekte und ein lokaler Östrogenmangel sein, der das Scheidengewebe postmenopausal betrifft. Dies kann übrigens auch bei jungen Frauen auftreten, wenn sie eine Pille benutzen, bei der Progesteron überwiegt. Aber auch Senkung der weiblichen Beckenorgane (Blase, Gebärmutter und Darm) und gutartige Veränderungen an diesen Organen, wie z.B. eine Eierstockzyste können durch Druck auf die Blasenwand einen Drang auslösen. Anhaltende Drangbeschwerden können durch eine Infektion mit Clamydien verursacht werden. Hier ist in der Diagnostik wichtig, dass der Abstrich direkt aus der Harnröhre genommen wird. Bei Männern treten Drangbeschwerden häufig nach einer Operation an der Prostata auf.
Nicht selten aber wird das Entstehen einer Drangblase durch langjährige (oft bereits seit der Kindheit) Verhaltensweisen und Angewohnheiten, wie z.B. prophylaktischer Toilettengang vor dem Verlassen der Wohnung oder des Hauses begünstigt. Durch das Einschränken der täglichen Trinkmenge reduziert sich das Fassungsvermögen der Blase und der Drang entsteht immer früher. Die Blase ist ein Organ, das sich besonders gern „konditionieren“ lässt, das heißt, dass der Drang im Laufe der Zeit bereits nur durch das Sehen eines WC-Schildes, das Stehen unter der warmen Dusche, das Abpumpen der Waschmaschine und das Hören von laufendem Wasser auftritt. Viele werden den Tipp kennen, dass man Schwierigkeiten, die Blase zu Entleeren, z.B. nach dem Ziehen eines Blasenkatheders, den Wasserhahn auf dem WC aufdrehen soll. Nicht selten ist vor allem „der Weg zur Toilette“ besonders problematisch. Der Drang, der im Auto oder vor der Haustüre noch erträglich war, steigert sich plötzlich ins gefühlt Unermessliche und die Patienten erreichen das Ziel WC nicht mehr trocken (sog. Last Minute-Symptomatik oder „Türlochinkontinenz“). Der Urinverlust reicht hierbei von wenigen Tropfen bis zum vollständigen Entleeren der Blase. Betroffene suchen Hilfe in persönlichen Strategien, wie das Tragen von dunkler Kleidung oder das Mitnehmen von Ersatzkleidung. Im Laufe der Zeit wird aus dem körperlichen Problem eine Kopfsache. Die Spirale schraubt sich immer höher und die Blase bestimmt letztendlich die Teilnahme am sozialen Leben und somit den Bewegungsradius. Später ziehen sich die Patienten immer mehr aus der Öffentlichkeit zurück. Eine Urlaubsreise oder der Besuch einer unbekannten Stadt, in welcher man nicht die Toiletten kennt, wird zum Problem. Ohne einen Toilettenplan im Kopf, verlassen die Betroffenen nur ungern ihre Wohnung.
In der Therapie der überaktiven Blase stehen verschiedene Behandlungsmöglichkeiten zur Auswahl, die durch die Ärztin / den Arzt Ihres Vertrauens nach einer entsprechenden Befunderhebung in die Wege geleitet werden sollten. Oft ist es nicht nur eine Behandlungsoption, sondern es ist hilfreich, die verschiedenen Maßnahmen sinnvoll miteinander zu kombinieren.
Obwohl die Datenlage zur positiven Wirkung einer lokalen Behandlung der Scheide mit östrogenhaltigen Zäpfchen oder Östrogensalbe nicht einheitlich ist, konnte in Studien gezeigt werden, dass eine Minderung der Beschwerden durchaus möglich ist, da durch diese Therapie die Stoffwechselvorgänge im Scheidengewebe verbessert werden und insgesamt eine erhöhte Belastbarkeit und Elastizität erreicht wird.
Medikamentös können die Symptome einer überaktiven Blase durch sog. Anticholinergika behandelt werden. Es gibt verschiedene Medikamente auf dem Markt, die sich hinsichtlich ihrer Dosierung (ein- bis mehrmalige tägliche Einnahme, Retardpräparat oder in Pflasterform) unterscheiden. Auch in dem Nebenwirkungsprofil finden sich Unterschiede bei den einzelnen Präparaten. So kann es also durchaus sinnvoll sein, nach ärztlicher Rücksprache, bei Unverträglichkeitserscheinungen auf ein anderes Medikament zu wechseln oder die Dosierung entsprechend anzupassen. Die häufigsten Nebenwirkungen, die von den Patienten als besonders störend empfunden werden, sind Mundtrockenheit, Übelkeit, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Verstopfung und Akkomodationsstörungen des Auges (Fähigkeit des Auges, sich der Entfernung anzupassen). Vor Medikamenteneinnahme sollte daher bei erhöhtem Augeninnendruck Rücksprache mit dem Augenarzt getroffen werden. Und häufig treten die Drangbeschwerden nach Absetzen der Medikamente erneut auf..
In Studien konnte durch Elektrostimulation ein positiver Effekt gezeigt werden. Allerdings wird das Erlernen und Durchführen der Therapie bisweilen als unangenehm empfunden und es benötigt eine gewisse Bereitschaft und ein Verständnis des Patienten für diese Methode.
Injektionen mit Botulinum-A-Toxin in die Blasenwand im Rahmen eines Krankenhausaufenthaltes ist seit einigen Jahren eine weitere Behandlungsoption. Allerdings verliert sich die Wirkung nach ca. sechs Monaten wieder und es kann nötig sein, dass weitere Behandlungszyklen nötig sind.
Nachteil der oben genannten Verfahren ist, dass hier nur die Symptome behandelt werden, aber es nicht zu einem aktiven Ändern der Lebensgewohnheiten und dem Umgang mit der Blase kommt!
Hier liegt der große Vorteil des verhaltens- und physiotherapeutischen Trainings. Die Idee ist nicht nur die subjektiv gefühlte Verbesserung der Symptome, sondern ein aktives Verändern der zum Teil seit vielen Jahren bestehenden Verhaltensweisen. Denn nur so kann sich ein dauerhafter Therapieerfolg einstellen. Die Behandlung von Menschen mit einer überaktiven Blase erfordert zunächst eine gute ärztliche Diagnostik, evtl. in einer urogynäkologischen Sprechstunde. Danach sollten die Betroffenen sich an fachlich gut weitergebildeten Kolleginnen und Kollegen wenden, denn eine allgemeine Beckenbodengymnastik alleine wird nur in den wenigsten Fällen zum Erfolg führen! Die Therapie dieses Krankheitsbildes erfordert einen ganzheitlichen Therapieansatz, der aus verschiedenen, sich ergänzenden Maßnahmen besteht.